Der Brief als solcher würde sich geehrt fühlen




Kristina Stella
Der Brief als solcher würde sich geehrt fühlen – Reiner Kunze zum 85. Geburtstag
Hauzenberg: Edition Toni Pongratz 2018, ISBN 978-3-945823-06-4, 29 Seiten, Klappenbroschur, zahlreiche Illustrationen, EUR 12.00
Edition Toni Pongratz

Inspiriert von Reiner Kunzes 85. Geburtstag am 16. August 2018 erschien in der traditionsreichen „Edition Toni Pongratz“ der Essay „Der Brief als solcher würde sich geehrt fühlen“. Der Essay beleuchtet aus verschiedenen Perspektiven Reiner Kunzes ungewöhnliches Verhältnis zur Post. Zitate Reiner Kunzes und Gedichtauszüge bilden den roten Faden, der sich durch den gesamten Essay zieht.

Die Buchausgabe in einer nummerierten und signierten Auflage von 500 Exemplaren ist mit bisher unveröffentlichten, individuell gestalteten Briefumschlägen Reiner Kunzes illustriert, die eigene Bildergeschichten erzählen und seit DDR-Zeiten eine Tradition in der Familie Kunze sind. Die Original-Briefumschläge befinden sich im Archiv der Reiner und Elisabeth Kunze-Stiftung in Obernzell-Erlau.
Reiner und Elisabeth Kunze-Stiftung


Inhalt


Essay
zu Kristina Stella
zu Reiner Kunze
Quellenhinweise
Anmerkungen zu den abgebildeten Briefumschlägen


Leseprobe


Im Dezember 2017 erreicht Reiner Kunze das neu erschienene Heft der „Neuen Rundschau“ des S. Fischer Verlages mit seinen lange zuvor geschriebenen und jetzt erstmalig veröffentlichten Briefen an die Schriftstellerkollegin und Freundin Brigitte Reimann. Er bedankt sich beim Verlag:

Liebe Petra Gropp, die Neue Rundschau ist eingetroffen. Ich danke Ihnen, Frau von Heppe und allen Mitverantwortlichen für die Ehre, die u.a. uns, Brigitte Reimann, Kristina Stella, Jan Skácel und mir, auf dem Cover in der Farbe der Deutschen Post zuteil wird. Der Brief als solcher würde sich geehrt fühlen.

Da muss man erstmal draufkommen, denke ich (die mir von Reiner Kunze übersandte Briefkopie in den Händen haltend), den sattgelb daherkommenden Zeitschrifteneinband einer Literaturzeitschrift mit der Deutschen Post zu assoziieren; flüssig niedergeschrieben, als sei genau diese Metapher hier so selbstverständlich wie die Briefmarke auf dem Kuvert.

Ein postgelbes Cover passt andererseits auch wie die (Stasi-)Faust aufs (Dichter-)Auge, wenn dieses die Vergangenheit durch den Blick auf mehr als vierzig Jahre alte Briefe Revue passieren lässt.

Eine Vergangenheit, in der der Staat ihm sagte „geh doch nach drüben, wenn's dir hier nicht passt“. Eine Vergangenheit, in der Reiner Kunze nicht locker-flockige Post-Adaptionen einfielen wie ein postgelbes Cover, eine „Briefwimper“ und ein „goldenes Posthorn“, sondern in der ein „Postalltag“ bestimmend war, dessen Schikanen den sensiblen Schriftsteller mehr als einmal bis an den psychischen und physischen Zusammenbruch brachten. Ein Postalltag, der wie ein Dieb in die Privatsphäre einbrach, indem er schamlos das Briefgeheimnis missachtete. Ein Postalltag, in dem einem unbescholtenen Bürger eine versehentlich verkehrt herum aufgeklebte Briefmarke den Angstschweiß auf die Stirn trieb, ein Postalltag, in dem der Briefträger nicht immer der Briefträger war, aber die Post ein Läuse-Kamm. Ein Postalltag, den Reiner Kunze in einem Zyklus aus „einundzwanzig variationen über das thema ‚die post‘“ festhielt, der, gekürzt und ungekürzt publiziert, hundertfach abgeschrieben und verteilt, einer gesamten Generation die DDR-Wirklichkeit unter die Haut brachte.

Ich mache mich auf die Suche nach den Post-Spuren in und neben den Gedichten, Prosatexten, Interviews, Reden und Erinnerungen Reiner Kunzes, um herauszufinden, wie die biografischen Fäden seine Post-Sprache umschlingen.